«Wir müssen zeigen, wie spannend unser Beruf ist»

Iris Wettstein – 17. April 2025
Über 40 Lernende verköstigen Mitte Juni Gäste, Künstler und Helfende auf dem Flugplatz Interlaken am Greenfield – dem grössten Rockfestival der Schweiz. Was René Schudel und seine Coaches den Lernenden mit auf den Weg geben möchten und was die Unterstützung von Avanti! für die Organisatoren des Projekts «Raus aus der Komfortzone» verändert.

Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt arbeitet René Schudel mit einer Schar an Lernenden am Greenfield Festival – dem grösste Rock- und Metalfestival in der Schweiz . «Wir müssen zeigen, wie spannend unser Beruf ist und welche Möglichkeiten eine Kochlehre bietet», erklärt Schudel sein Engagement. Über 1500 Essen pro Tag im VIP-, Crew- und Künstlercatering und ungefähr 80 000 Besucher auf dem Flugplatz in Interlaken BE: Das Catering am Greenfield verlangt von den Lernenden und ihren Coaches alles ab.

Für die Coaches beginnt der Aufbau für das Festival bereits fünf Tage vor dem eigentlichen Start. Sie sind ab Tag eins für die Versorgung der Crew am Greenfield verantwortlich. Am Mittwoch treffen schliesslich die Lernenden auf dem Flugplatz ein und helfen bei den letzten Aufbauarbeiten, und dann geht es auch bereits los mit kochen, backen und servieren. 

Lange Tradition

Zum ersten Mal kochten und backten Lernende 2015 am Greenfield Festival auf dem Flugplatz in Interlaken. Damals war das Catering noch etwas kleiner, und es gab kein VIP-Catering. Die Kooperation mit der Hotel Gastro Union (HGU) besteht seit 2016. Die HGU kümmert sich um das Casting der Lernenden, alle ,die sich bewerben möchten, müssen bei der HGU Mitglied und jünger als 22 Jahre sein. Zusätzlich stellt die Organisation einiges an Material zur Verfügung. Sie tragen auch einen grossen Teil der Kosten.

Die Mitarbeiterkosten sind wie bei einem normalen Cateringunternehmen sehr hoch, auch die Ansprüche der Lernenden sind gestiegen. «Die Lernenden erhalten heute einen Festival-Pass, gratis Kost und Logis, ein Festival T-Shirt sowie 200 Franken Entlöhnung und die Reisespesen», zählt René Schudel auf. Er leitet das Projekt seit dem Anfang. Einige der Kosten können mit dem VIP-Bereich quersubventioniert werden, dennoch sei man auf Gönner und Partner angewiesen, sagt Schudel. «Das wir nun mit Avanti! einen zweiten prominenten Unterstützer haben, freut uns sehr.»

«Dem Koch stehen alle Wege offen»

Das Projekt «Raus aus der Komfortzone» gibt es bereits seit zehn Jahren. Die Herausforderungen durch dem Personalmangel bestehen schon fast ebenso lange. «Als ich die Kochlehre absolvierte, war das Niveau in der Schweiz, im internationalen Vergleich, sehr hoch, da war man jemand», sagt Schudel. «Wir haben uns danach zu lange auf den Lorbeeren ausgeruht, und international wurde aufgeholt. Dann kam die Pandemie, und das Problem hat sich weiter verstärkt, vor allem habe die Attraktivität der Branche sehr gelitten, urteilt der 48-Jährige. «Wir müssen den Berufstand wieder attraktiver machen.»

Für ihn geht es nicht um die Spitzenköche, sondern den Alltagsberuf eines Kochs oder einer Köchin. In erster Linie will er die Leute im Beruf halten, zu viele Absolventinnen und Absolventen würden sich gleich aus der Branche verabschieden. Deshalb war für ihn klar, dass er ein Projekt auf die Beine stellen will, um den Kochberuf und seine Entwicklungschancen aufzuzeigen. Unterdessen sind zwar Lernende aus den Bereichen Bäckerei, Konditorei und Restauration am Festival mit dabei, der Fokus bei René Schudel liegt aber bei den Köchen und Köchinnen. «Ich will den jungen Menschen zeigen, welche Wege ihnen mit einer Kochlehre offenstehen. Als Koch hat man so viele Möglichkeiten», sagt Schudel.

Das Projekt soll den jungen Branchenleuten als Motivationsschub dienen, deshalb auch der Name «Raus aus der Komfortzone». «Sie sollen das Alltägliche verlassen und sehen, was mit wenigen Hilfsmitteln gezaubert werden kann», so Schudel. Denn an einem Open-Air-Catering stehen nicht alle Küchenmaschinen zur Verfügung, da wird auch mal über dem Feuer gekocht. «Vor allem aber geht es mir um die Person», erklärt Schudel, «die Person Koch oder die Person Bäcker oder die Person Servicekraft, die im Alltag etwas untergeht, weil sie als selbstverständlich wahrgenommen wird.» Schudel will diesen jungen Menschen zeigen, wie wichtig und grossartig ihr Beruf ist.

Deshalb bezieht er die Lernenden auch in den Menüfindungsprozess ein. Es gibt zwar ein gewisses Standardraster mit Anteilen von vegetarischen und veganen und bewährten Menüs. Beim weiteren Prozess werden die Lernenden aber mit einbezogen und können selbst mitbestimmen, was sie kochen werden. So stand im vergangenen Jahr zum Beispiel ein Kichererbsencurry mit BBQ-Ananas und Zitronengras als vegane Hauptspeise auf dem Plan oder saftige BBQ Short Ribs mit Bier und Sojasauce, und auch Fischliebhaber kamen mit einem Fischburger im asiatischen Stil mit Kimchi auf ihre Kosten.

Neben René Schudel sind 19 weitere Coaches während den intensiven Tagen am Greenfield im Einsatz. Sie alle sind für einzelne Bereiche zuständig, so gibt es den Coach für den Bereich VIP-Restaurationsleitung oder den Coach Crew-Catering. Insgesamt produzieren sie Essen für die Crew, die Künstler sowie die VIPs. Ebenfalls sind die Lernenden in diverse Gastromodellen im Einsatz: Das VIP-Catering ähnelt einem A-la-Carte-Restaurant, das Künstlertcatering ist ein Selbstbedienungsrestaurant mit Buffet, und im Crew-Catering gibt es eine Systemgastronomie. Zu den VIPs gehörten Besucher mit einem VIP-Ticket, Sponsoren sowie die Festivalleitung und deren Gäste. 

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Zusammen mit über 40 Lernende aus den Bereichen ­Küche, Bäckerei, Konditorei und ­Restauration verköstigen René Schudel und sein Team Gäste, Künstler und ­Helfende am Greenfield Festival auf dem Flugplatz in ­Interlaken. (Bild: Daniel Winkler)

Die 20 Coaches kümmern sich fünf Tage lang um 40 bis 50 Lernende. Die Zahl schwankt von Jahr zu Jahr, je nachdem wie viele sich bewerben. «Grundsätzlich gilt <first come, first serve>, bis die benötigte Anzahl Lernende erreicht ist», erklärt Schudel. Einige Lernende kommen auch zweimal, in ihrem zweiten Jahr können sie eine Vorstufe als Coach einnehmen und den Jüngeren unterstützend zur Seite stehen. Die Jugendlichen schlafen während des Greenfield in Zelten auf dem Crew-Zeltplatz und arbeiten in Schichten. Die Bäcker und Bäckerinnen stehen früh auf, so wie auch im Alltag. Um sieben Uhr startet das Frühstück. Danach wird durchgehend Essen zubereitet bis spät in die Nacht. Der Schichtbetrieb ist wichtig für die Jugendlichen, sodass sie Freizeit haben und etwas vom Festival mitbekommen. Die Lernenden kommen vorwiegend aus der Deutschschweiz sowie aus dem Wallis.

Privat führt René Schudel das Restaurant Stadthaus mitten in Interlaken. Er hat auch schon Lernende vom Greenfield bei sich eingestellt, seine aktuelle Souschefin zum Beispiel. «Ich kann mich nicht beklagen, wir haben Glück und ein sehr langjähriges Team», sagt Schudel. Einzig in Führungspositionen sei es etwas schwieriger, passende Leute zu finden. «Interlaken ist nicht der attraktivste Standort für aufstrebende junge Köche», gibt Schudel zu. Er selbst kocht im Restaurant nicht: «Ich würde nur im Weg stehen.» Er skizziert die Speisekarten und bespricht die Rezepte und Menüs mit den Köchen. Er kocht vor allem in seiner Showküche oder auf Reisen für seine Kochshow «Schudel’s Food Stories».

Avanti! und HGU spannen zusammen

Die HGU hat das Projekt zehn Jahre lang alleine geführt, nun bekommt die Arbeitnehmerorganisation für das Jahr 2025 prominente Unterstützung von Avanti!. Avanti! ist bekanntlich eine Initiative von GastroSuisse, und ein Eckpfeiler davon ist die Nachwuchsförderung. «Wir freuen uns, mit der HGU zusammenzuarbeiten und zu zeigen, wie wichtig die Zusammenarbeit in der Branche ist. Gemeinsam können wir viel erreichen», sagt Nikolaj März, Projektmanager bei GastroSuisse und Leiter der Initiative «Avanti!».

Reto Walther, Geschäftsführer der HGU sowie Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands, fügt hinzu: «Den Berufsverbänden ist es wichtig, unserem Nachwuchs möglichst viele Facetten unserer Berufe zu zeigen. Das Ausüben unseres Handwerks in ausserordentlichen und teilweise reduzierten Infrastrukturen ist für alle Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis.

Innert kürzester Zeit ein Team zu formen und hochstehende gastronomische Leistungen zu erbringen, ist eine Stärke unserer Branche, die wir zelebrieren wollen.» «Kulinarisches Handwerk trifft auf die Energie des grössten Rockfestivals der Schweiz – eine einzigartige Gelegenheit, zu zeigen, wie unsere Berufe in diesem ungewöhnlichen Umfeld leben», ergänzt März
René Schudel freut sich über die prominente Unterstützung: «Dass sich zwei Mitbewerber auf der gleichen Ebene treffen und für die gleiche Sachen kämpfen, zeigt, dass wir das Nachwuchsproblem in unserer Branche ernst nehmen und gemeinsam etwas dagegen unternehmen.»

Das Projekt sei sinnbildlich für die Unterstützung der Branche, es sei eine schöne Aktion, dass sich beide Verbände gemeinsam dahinter stellen. «Dass Avanti! eingestiegen ist, um uns zu unterstützen, ist eine massive Entlastung», sagt Schudel. «Wir können so die Bilder von glücklichen Lernenden nach aussen tragen.»

Das Greenfield Festival findet vom 12. bis zum 14. Juni 2025 wiederum auf dem Flugplatz in Interlaken statt.