Gastronomie

Der Gasthof, der nie nach Lernenden suchen muss

– 12. November 2021
1 Michelinstern, 15 Gault-Millau-Punkte, doch innerhalb der Branche ist der Gasthof Löwen in Bubikon ZH ganz besonders für die Ausbildung von Lernenden bekannt. Was machen Rita und Domenico Miggiano besser als andere?

«Guete Morge zäme», ruft Domenico Miggiano (54), als er die Küche betritt. Ein noch lauteres, mehrstimmiges «Guete Morge» hallt zurück. Salat waschen, Ravioli falten, Saucen produzieren, Gemüse rüsten – im Gasthof Löwen in Bubikon ZH ist was los. «Der Mittag ist ausgebucht», sagt Rita Miggiano (54). Aber das ist hier der Normalfall.

Im Jahr 2000 übernimmt das Ehepaar, das sich von der Arbeit im St. Moritzer Luxushotel Suvretta kennt, den Betrieb im Zürcher Oberland. Wie lange halten sie durch, fragt man sich. Vor den Miggianos versuchten sich innert kurzer Zeit mehrere Pächter in diesem schönen Haus im Zürcher Oberland.

«Wir machten uns im Zuge der Familienplanung selbstständig», erklärt Rita Miggiano. Im August 2002 kommt Alessio zur Welt, 2003 Leandro. «Es lief wie am Schnürchen.» Sie ist Restaurantleiterin, er Küchenchef. Und sein Gespür für die ehrliche Küche, für das besondere Einfache fällt auf: Die ersten Punkte im Gault Millau machen den Löwen überregional bekannt.

Gehoben, aber nicht steif

Das Konzept, an dem das Paar heute noch festhält: Das Herz des Betriebs ist die Gaststube, dazu kommen das Gourmet Apriori und elf Hotelzimmer. «Eigentlich mag ich den Begriff Gourmet für uns nicht», verrät Domenico Miggiano. Der Guide Michelin zeichnet das Apriori seit 2018 mit einem Stern und schönen Worten aus: «Sie speisen gerne gehoben? In einer Atmosphäre, die elegant, aber nicht steif ist? Dann sind Sie bei Rita und Domenico Miggiano-Köferli genau richtig. Die beiden sind Gastgeber aus Leidenschaft, und das spürt man in dem schönen historischen Gasthof. Neben hübschen individuellen Zimmern und einer Gaststube beherbergt der ‹Löwen› das seit 2018 besternte ‹Apriori›. Mit Hingabe setzt Patron und Küchenchef Domenico Miggiano seine Liebe zur mediterranen Küche um – abends in Form eines Gourmetmenüs, mittags als beliebten Business-Lunch. Charmant und geschult der Service unter der Leitung der Chefin, kompetent die Weinberatung.»

Um diese Hingabe zu bewahren, setzt das Duo auch privat auf einen klaren Plan. «Wir haben gute Freunde ausserhalb der Gastroszene. In unserer Freizeit sind wir am Biken, Wandern, Joggen», erzählt Rita Miggiano. «Wir könnten jeden Sonntag an eine Weindegustation, und auch im Betrieb gäbe es immer etwas zu tun. Aber der Ausgleich ist uns wichtig. Auch wenn Branchenkollegen sagen: ‹Euch sieht man ja nie.›» Ihr Ehegatte pflichtet ihr bei: «Dieses private Netzwerk pflegen wir bewusst. Freunde ausserhalb der Branche sind etwas ganz Wichtiges. Das gehört für uns zu einem seriösen Plan, genau wie man eine Neueröffnung plant.»

Lernende finden? Kein Problem

Was der Guide Michelin nicht erwähnt, in der Branche aber bekannt ist: Der Gasthof Löwen gilt als Vorzeigebetrieb bei der Ausbildung von Lernenden. Mehr als 30 Köche und Restaurantfachleute bringen die Miggianos in den vergangenen 21 Jahren erfolgreich durch die Lehrzeit, mehrere von ihnen mit Bestnoten. Wenn Domenico Miggiano also sagt, sie hätten das Glück, dass sie sich heute die Perlen aussuchen können, entspricht dies nur der halben Wahrheit. Dass der Löwen seine Lehrstellen in der Küche bereits anderthalb Jahre vor Lehrbeginn besetzen und immer wieder engagierte, talentierte Servicelernende einstellen kann, so liegt dies am guten Ruf, den er sich über zwei Jahrzehnte erarbeitet hat. Domenico Miggiano: «Es ist unsere Aufgabe, den Lernenden das Gastro-Gen im ersten Lehrjahr einzuimpfen, um die Jungen in den folgenden zwei Jahren zu festigen. Man muss sie für die Branche begeistern.»

Von solchen Verhältnissen träumen die allermeisten anderen Betriebe des Landes. Doch was macht das Löwen-Paar denn besser als andere? «Bei uns herrscht eine positive Grundstimmung», so Rita Miggiano. Anstatt über einen mühsamen Gast zu lamentieren, heisst es in Bubikon: «Komm, wir schaffen es, auch diesem ‹Mötzli› ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.» Rita und Domenico Miggiano gehen mit ihren Lernenden behutsam und individuell um: Wer ist ein Alphatier? Wer hingegen ein potenziell guter Mitarbeiter? Wer ist mit einer besonders schnellen Auffassungsgabe gesegnet und denkt schon früh vernetzt? Bei wem bedarf es zu Beginn einer intensiveren Betreuung? Dass in der gleichen Küche der Businesslunch, das Tagesmenü, ein Trauermahl und das Gourmetmenü zubereitet werden, fordert die jungen Mitarbeiter heraus, zeigt ihnen aber zugleich die diversen Facetten ihres Berufs auf. Domenico Miggiano pflegt zu fast all seinen ehemaligen Lernenden nach wie vor eine enge Beziehung. Nicht selten schaut einer vorbei, stellt eine Frage, isst oder hilft bei einem Bankettanlass mit.

«Man muss schauen, dass es den Lernenden gut geht», mahnt Domenico Miggiano, der im September als Zukunftsträger 2021, also als bester Berufsbildner der Schweiz in der Küche, ausgezeichnet wurde. «Wir essen mit den Lernenden, sagen Danke und Bitte, geben Feedbacks, zeigen, dass wir sie schätzen. Nur so können sie Leistung erbringen. Wir korrigieren sie, setzen Lernziele fest und halten uns an diese.» Der Küchenchef nennt ein Beispiel einer Küchenlernenden, zieht die Augen hoch und sagt: «Sie macht es mega! Ach, da kriege ich Gänsehaut.» Die Lust, junge Gastronomen zu potenten Berufsleuten auszubilden, ist spürbar. Dass die Herstellung von Saucen nicht mehr zum Lernstoff gehört, dafür hat Domenico Miggiano kein Verständnis: «Wasser mit einem Convenience-Pulver anrühren? Das kann jeder. Aber Saucen zubereiten, ist die Paradedisziplin in der Küche. Das ist Handwerk, das ist die DNA des Kochs.» Wer im Löwen lernt, beherrscht die Saucenkunst nach der Lehre garantiert.

Neu im Vorstand von GastroZürich

Ein wichtiges Credo des Paars, das den Gasthof Löwen mittlerweile nicht mehr pachtet, sondern besitzt: Entscheidet sich Rita und Domenico Miggiano für einen Lernenden, so wird an diesem bis zuletzt festgehalten und alles unternommen, um diesem das Handwerk beizubringen und ihm die Freude am Beruf zu vermitteln.

Und als wäre der eigene, vielseitige Betrieb und das Engagement gegenüber den Lernenden nicht genug: Seit Anfang Oktober sitzt Rita Miggiano im Vorstand von GastroZürich. Oder wie sie dies ausdrückt: «Man darf nicht immer nur aus der zweiten Reihe sagen, wie man Dinge besser machen könnte.»