100 Jahre Schweizer Jugendherbergen: Ein Nationalsymbol im Wandel der Zeit

Oliver Borner – 25. April 2024
Am 28. April feiern die Schweizer Jugendherbergen ihr 100-jähriges Jubiläum. Ein Blick zurück auf eine Erfolgsgeschichte der Schweizer Parahotellerie.

Am 28. April 1924 treffen sich in Zürich-Wiedikon 60 bis 70 Frauen und Männer, um die Zürcher Genossenschaft für Jugendherbergen zu gründen. Die jungen Menschen verbindet die Liebe zum freien Wandern unter Gleichaltrigen. Diese erfordert es, entlang der Wanderrouten erschwingliche Übernachtungsmöglichkeiten zu bieten. Denn: Geld haben die meisten Jugendliche zu dieser Zeit kaum.

Das Treffen in Zürich ist die Geburtsstunde der Schweizer Jugendherbergen. Ende April darf die Organisation ihren 100. Geburtstag feiern. «Das ist für mich ein ganz spezieller Moment, den man in seiner beruflichen Karriere wohl nur einmal erleben wird», freut sich Janine Bunte, CEO der Schweizer Jugendherbergen. Es sei ein Privileg, die 100-jährige Geschichte der Schweizer Jugendherbergen zu feiern.

Die Geschichte der Organisation ist bemerkenswert: Bereits nach wenigen Monaten kann die Gründungsgruppe ein Netzwerk aus zwölf Unterkünften präsentieren. Bis 1938 steigt die Zahl der Betriebe auf bis heute rekordhohe 208 Unterkünfte. Die Kriterien für eine Jugendherberge sind damals simpel: Der Ort soll - neben Übernachtungsmöglichkeiten mit Betten oder Schlafplätzen im Stroh – ein Dach über dem Kopf mit einer Kocheinrichtung bieten.

«Diese Aufbauphase und vor allem die schnelle Expansion beeindrucken mich bis heute. Es zeigt, wie die Schweizer Jugendherbergen von Anfang an den Nerv der Zeit trafen und vor allem bei der jungen Bevölkerung ankamen», blickt Janine Bunte zurück. 

Aufschwung nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dem nur sehr wenige ausländische Gäste in die Schweiz kamen, professionalisieren sich die Schweizer Jugendherbergen zunehmend. So werden erstmals nationale Richtpreise für die Verpflegung festgelegt. 1952 fällt zudem das Hotelbauverbot, womit die Betriebe ab 1956 Personen über 25 Jahren wieder beherbergen dürfen.

«Das war ein grosser Meilenstein für die Jugendherbergen. Denn dadurch konnten erstmals Familien offiziell in den Betrieben übernachten. Davor musste sich der Vater noch als Wandergruppenleiter ausgeben, damit das möglich war», sagt Bunte.

In den 1960er und 70er Jahren folgt mit den jungen Trampern und Anhaltern ein grosser Aufschwung für die Schweizer Jugendherbergen. Besonders ausländische Gäste - viele davon aus den USA - entdecken so die Schweiz. Angebote wie Interrail machen die Klientel noch internationaler.

Gleichzeitig kämpfen die Jugendherbergen in dieser touristischen Hochphase mit infrastrukturellen Problemen. Viele Unterkünfte sind renovationsfällig und teilweise müssen neue Unterkünfte gebaut werden. Eine in Auftrag gegebene ETH-Studie empfiehlt im Zuge dessen eine Neuorganisation, bei der die einzelnen regionalen Kreise reorganisiert und reduziert werden müssen. 1973 wird als Reaktion auf diese Studie und die aufkommenden Jugendunruhen die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus durch den Verein Zürich gegründet.

«Dabei ging es vor allem darum, das Vermögen zu sichern und die Liegenschaften vor nicht im Voraus einschätzbaren Entscheiden der Mitgliederversammlungen zu schützen», erklärt Bunte. Der Liegenschaftenbesitz geht in die neue Organisation über, sie verwaltet die Immobilien und das Vermögen daraus.

Imagepflege und Fusion

Zu Beginn der 80er-Jahre führen die Jugendherbergen erstmals eine Umfrage zur ihrer Bekanntheit und ihres Images durch. Resultat: 50 Prozent der Befragten kennen die Betriebe und assoziieren damit vor allem günstige Übernachtungsmöglichkeiten für Jugendliche. Dennoch entscheiden sich immer weniger Jugendliche dafür, Mitglieder der Jugendherbergen zu werden. Grund dafür ist, dass die restriktive Nachtruheregelung und die Geschlechtertrennung nicht mehr zeitgemäss sind.

«Ein wichtiger Schritt folgte dann in den 1990er-Jahren, als sich der Tourismus zusehends veränderte und eine Neuausrichtung nötig wurde», sagt Bunte. Ein neues Leitbild mit dem Namen «Jugi 2005» wird erarbeitet, welches 1992 in Kraft tritt.

Zentral für die Umsetzung des Leitbildes ist 1991 die erste Fusionsetappe, in der sich die Kreise Zürich, Nordostschweiz, Bern, Ostschweiz Neuenburg und Waadt zum Verein Schweizer Jugendherbergen zusammenschliessen. Ab 1994 gibt es die erste zentrale Verwaltung in Zürich.

«Damals herrschte eine grosse Umbaustimmung, weil wir wussten, dass wir das Netzwerk neu aufbauen und umbauen mussten. Das war eine anspruchsvolle Zeit», erinnert sich Bunte, die 1996 in der Finanzabteilung der Schweizer Jugendherberge startete.

Mehr Schweizer Gäste...

Nach der Jahrtausendwende gehen die roten Zahlen langsam in ein Rosa über. Die Schweizer Jugendherbergen schrumpfen sich zusehends gesund. Jahr für Jahr gibt es weniger Standorte bei fast gleicher Besucherzahl. Vermehrt finden die «Jugis» mit dem neuen Konzept auch wieder bei Einheimischen Anklang.

«Die Reorganisation und der Erneuerungsprozess waren entscheidend dafür, dass heute wieder mehr Schweizer Gäste in den Schweizer Jugendherbergen übernachten», sagt Bunte. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Steigerung der Qualität in den Betrieben. «Die Schweizer Gäste haben einen hohen Lebensstandard und fordern diesen ein.» Nachhaltigkeit, gutes Essen und komfortable Zimmer spielen beim Schweizer Gast eine grosse Rolle.

...und höhere Ansprüche

Dementsprechend gehören Massenschläge mit Wolldecken und Strohschlafen der Vergangenheit an. Die Schweizer Jugendherbergen bieten heute neben Halbpension und Mehrbettzimmern auch Doppelzimmer mit Dusche/WC an.

«Dies ist einerseits auf die Ansprüche der Gäste zurückzuführen, hat andererseits aber einen finanziellen Grund», sagt Bunte. Denn, durch die Belegung der teureren Doppelzimmer lassen sich die günstigen Betten in den Mehrbettzimmern finanzieren. Das kommt Familien oder Einzelreisenden zugute.

Neu dazugekommen sind in den letzten Jahren zudem Kooperationen, die das Angebot für die Gäste bereichern. So gibt es in Saas-Fee VS, Laax GR und St-Luc VS mittlerweile Jugendherbergen mit einem Hallenbad- und Wellnessangebot. «Diese Projekte sind in Zusammenarbeit mit Behörden oder Interessensgruppen vor Ort entstanden und sollen einen Mehrwert für alle bieten - nicht nur für die Gäste», betont Bunte.

Das zeigt sich exemplarisch am Beispiel in Saas-Fee. Die Schweizer Jugendherbergen haben dort nach jahrelanger erfolgloser Suche einen Standort für einen Neubau gefunden. Gleichzeitig fand die Burgergemeinde Saas-Fee eine Möglichkeit, das defizitäre Freizeitzentrum in eine Wellnessanlage mit Hallenbad zu überführen. Die Anlage kommt allen Gästen der Destination wie auch Einheimischen zu Gute.

Mit dem Angebot einher geht ein hoher Anspruch an ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit. Dieser Anspruch ist seit der Gründung der Schweizer Jugendherbergen zentral. Heizen mit umweltfreundlicher Energie, gesundes Wirtschaften mit einer soliden Finanzstruktur und die Inklusion aller Menschen stehen weiterhin im Fokus.

Corona hinterlässt seine Spuren

Diese Wandelbarkeit und Anpassung an die Bedürfnisse der Gäste werden in den Pandemiejahren 2020 und 2021 ein weiteres Mal getestet. Die Coronamassnahmen stellen die gesamte Branche vor grosse Herausforderungen. «Das Verbot von Schul- und Vereinslagern war für die Jugendherbergen fatal. Schliesslich machen diese Gäste bis zu 40 Prozent unserer jährlichen Übernachtungen aus», sagt Janine Bunte.

Dennoch bleibt es in den Betrieben nie still. Während des Lockdowns beherbergen die Jugendherbergen gestrandete Geschäftsleute und Handwerker oder Menschen in besonderen Lebenssituationen. Dazu kommen Militär und weitere Personen, welche die medizinischen Institutionen während der Pandemie unterstützten. Wie viele andere Betriebe erhalten auch die Jugendherbergen Unterstützung durch den Bund. In den zwei Pandemiejahren resultiert ein historisches Defizit und der vollständige Kapitalverlust.

Zivilgesellschaftlicher Auftrag bleibt

Und heute? Was bleibt nach 100 Jahren Geschichte? «Die Anforderungen haben sich in den letzten 100 Jahren verändert, im Kern sind die Schweizer Jugendherbergen aber gleichgeblieben», sagt Janine Bunte. Der Geist der Gemeinschaft, das Übernachten zu einem erschwinglichen Preis und die zivilgesellschaftliche Absicht, Menschen aus allen Schichten und Kulturen zusammenzubringen, seien erhalten geblieben.

Das zeigt sich ebenso bei der Friedensförderung. «Die Schweizer Jugendherbergen bemühen sich seit ihrer Gründung zusammen mit der internationalen Gemeinschaft der Jugendherbergen um die Wahrung des weltweiten Friedens», sagt Bunte. Bereits 1938, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, bemühte sich die Gemeinschaft der internationalen Jugendherbergen, Italien davon abzubringen, mit Nazi-Deutschland zu kooperieren.

Dieser Gedanke ist bis heute geblieben und ist - vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs - aktueller denn je. «Es ist daher umso wichtiger, dass wir unsere Werte einer friedlichen, solidarischen, verantwortungsbewussten und lebensfrohen Gemeinschaft nach aussen tragen», ist Janine Bunte überzeugt.

Dies sieht sie auch als Aufgabe für die kommenden Generationen der Entscheidungsträger bei den Schweizer Jugendherbergen. «Einerseits wollen wir allen Menschen das kostengünstige und nachhaltige Reisen ermöglichen. Andererseits wünsche ich mir, dass die Jugendherbergen weiterhin einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit und zum internationalen Frieden beitragen können.»