Die Rolle der «working moms» im Gastgewerbe

Nicole Steffen – 25. März 2024
Ein Gespräch mit Amanda Wassmer-Bulgin vom Restaurant Memories über Teil­zeitarbeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, neue Rollenverteilungen und einen längst notwendigen strukturellen Wandel im Gastgewerbe.

Wo sind sie, die «working moms» in der Hotellerie und im Gastgewerbe? Die Restaurantleiterinnen, Servicefachangestellten, Köchinnen, Sommelièren und Hoteldirektorinnen? Die Superfrauen, die Familie und Beruf unter einen Hut kriegen? Die Frauen, die Kinder erziehen, das Familienleben organisieren und gleichzeitig ein Hotel oder ein Restaurant leiten?

Es ist schwierig, sie zu finden. Das wohl prominenteste Beispiel ist Amanda Wassmer-Bulgin (39). Sommelière, Mutter von zwei Söhnen (zwei und sechs Jahre alt), Ehefrau, Weindirektorin und Stage-2-Master-of-Wine-Studentin. Die gebürtige Britin arbeitet Teilzeit in einem 40-Prozent-Pensum als Wine Director im Grand Resort Bad Ragaz SG.

Frühstücksservice als einzige Möglichkeit

Frauen mit langjähriger Erfahrung in der Hotellerie und Gastronomie können nach der Geburt eines Kindes oftmals «nur» noch im Frühstücksservice arbeiten, so erklärt die Gastgeberin. Dies sei vor allem aufgrund von fehlenden Betreuungsstrukturen und der Schichtarbeit im Gastgewerbe, führt sie aus. Für einen Abendservice fehlt es grösstenteils an passenden Betreuungsmöglichkeiten. Die Kindertagesstätten schliessen spätestens um 19 Uhr, und morgens müssen die Kinder zwischen sieben und acht Uhr gebracht werden.

Auf eine innerfamiliäre Betreuung können nicht alle zurückgreifen, und eine Nanny kann oftmals finanziell nicht bezahlt werden. Was braucht es demnach für die Arbeit mit Kindern in der Hotellerie und Gastronomie?

Eine hauseigene Kita wäre beispielsweise eine Lösung, so Wassmer-Bulgin. So könnten neben den Kindern von den Hotelgästen auch sporadisch Kinder von Mitarbeitenden aufgenommen werden, erklärt sie. Betreuungsgutscheine oder finanzielle Beteiligungen für die Kinderbetreuung wären eine attraktive Möglichkeit als Fringe Benefit bei der Anstellung. An Ideen mangelt es der Weindirektorin nicht.

Teilzeitpensum als Bedingung

Amanda Wassmer-Bulgin ist nach der Geburt ihres ersten Sohnes ein Jahr zu Hause geblieben und danach in einem 40-Prozent-Pensum als Weindirektorin zurückgekehrt. «Vor der Geburt dachte ich, nach einem halben Jahr komme ich zurück und steige wieder ein», erklärt sie mit einem Schmunzeln. Sie habe schnell gemerkt, dass weder sie noch ihr Sohn bereit dazu wären.

Sie sei sich durchaus bewusst, was für ein Privileg es sei, ein Jahr zu Hause bleiben zu können. Ihrem Arbeitgeber hat sie von Anfang an klar kommuniziert, zu welchen Bedingungen sie und ihr Mann nach Bad Ragaz kommen würden. Dazu gehörte das Teilzeitpensum von 40 Prozent. Sie teilt sich den Job Wine Director mit Daniel Kis (39) auf. Er arbeitet Vollzeit und ist für die Restaurants Namun, Zollstube und Olives d'Or zuständig. Amanda Wassmer-Bulgin arbeitet mehrheitlich für das «Memories» und das «Verve by Sven». Die beiden teilen sich neben fixen Projekten auch die Verantwortlichkeiten klar auf.

Während Amanda Wassmer-Bulgin mehrheitlich für strategische Aufgaben wie das Definieren der Einkaufsstrategie, die Weiter- und Ausbildung der Mitarbeitenden ebenso wie für den Einkauf von neuen Produkten, wie beispielsweise nicht alkoholischen Getränken zuständig ist, kümmert sich ihr Arbeitskollege um operative Aufgaben wie die Weinkarte, Servicestandards, Bankette, das Inventar und das Briefing vom Personal vor Ort.

Das Team besteht neben den beiden aus vier Sommeliers für alle Restaurants im Resort. Mindestens ein Sommelier ist immer im Haus, erklärt sie. Und die beiden teilen sich die Woche untereinander auf. Einmal pro Woche tauschen sich Wassmer-Bulgin und Kis in einem Meeting aus, und alle zwei Wochen trifft sich das gesamte Team für einen Austausch. Donnerstags und freitags arbeitet Wassmer-Bulgin von 9 bis 16 Uhr. Alles, was sie in diesen beiden Tagen nicht schafft, erledigt sie an einem anderen Tag in der Woche, grösstenteils am Dienstag, weil dies der freie Tag im Hotel ist.

Daniel Kis ist von Donnerstag bis Sonntagabend für die Gäste und das Team da. An den restlichen Tagen ist Wassmer-Bulgin Mama, arbeitet für ihr Studium, gibt Unterricht und geniesst die wenige Zeit zusammen mit ihrem Mann. «Die Viertagewoche hat uns bei der Organisation von unserer Familie sehr geholfen», sagt sie.

Organisation innerhalb der Familie

Dreisternekoch Sven Wassmer bringt die Kinder morgens in die Schule, beziehungsweise in die Kita, und sie bringe die beiden Jungs jeden Abend ins Bett. Der Kleine geht donnerstags und freitags in die Kita, und der Grössere geht bereits in die Schule. Das mache die Organisation noch etwas schwieriger, da er nun an den Wochenenden immer zu Hause sei. Beide Elternteile legen zusätzliche Veranstaltungen, wenn immer möglich, auf einen Dienstag, damit nicht noch mehr von der kostbaren Familienzeit wegfällt.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Gastgewerbe sei vor allem für die Frauen nach wie vor schwierig, so Wassmer-Bulgin. Sie hatte kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes die Idee, eine Veranstaltung zu organisieren, in der berufstätige Frauen aus anderen Branchen aufzeigen würden, wie familienfreundliche Positionen aussehen können – als Inspiration für das Gastgewerbe.

 

GRBR Resort allgemein aussen leicht von oben V2

Das Grand Resort Bad Ragaz. (Bild: Grand Resort Bad Ragaz)

Eine familienfreundliche Personalpolitik

Gerade hinsichtlich Personal- und Fachkräftemangel sei es im Interesse aller, eine familienfreundlichere Personalpolitik zu etablieren, sodass auch gut ausgebildete Frauen mit langjähriger Erfahrung im Gastgewerbe auch nach der Geburt eines Kindes berufstätig bleiben können. Es sei zudem längst an der Zeit, dass ein Umdenken in der Hotellerie und Gastronomie stattfinde. Die bereits erwähnten Probleme wie Personalmangel würden begleitet von einer hohen Fluktuation, vielen krankheitsbedingten Ausfällen und einem schlechten Image der gesamten Branche, so Wassmer-Bulgin.

Deshalb plädiert sie für eine generelle Überarbeitung der Rollen und Verantwortungsbereiche. Ebenso seien viele Arbeitsabläufe und Aufgabenbereiche begründet durch «Das haben wir schon immer so gemacht» weit weg von ­Effizienz und Logik. Wassmer-Bulgin rät allen, die bereit seien für einen Wechsel, radikal auszumisten. Rollen sollten überdenkt und Verantwortung aufgeteilt werden, führt sie aus.

«Im Restaurant Memories haben wir die Verantwortung und Aufgabenbereiche auf die verschiedenen Mitarbeitenden gemäss ihren Stärken und Interessen aufgeteilt. Dadurch entsteht mehr Abwechslung im täglichen Arbeiten und eine höhere Identifikation mit dem Betrieb, was in einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein für das Endprodukt resultiert», so Wassmer-Bulgin. Zufriedene Mitarbeitende würden einen besseren Job leisten, und dadurch könne die Qualität im Service und im Restaurant erhöht werden.

Ein Votum für «working moms»

Eine Frau, Weindirektorin, Sommelière und zweifache Mutter, die aus eigener Erfahrung und mit einem grossen Know-how und mit viel Leidenschaft Visionen hegt und pflegt. Ihr Votum für «working moms» in der Hotellerie und Gastronomie: Um heutzutage ein Leader zu sein, braucht es viel Empathie und Feingefühl.

Genau das bringen Mütter und Väter mit. «Am Anfang kann dein Kind nicht einmal sprechen, und trotzdem musst du wissen, was sein Bedürfnis ist», sagt sie. Im Umgang mit Gästen und Mitarbeitenden sind genau diese Fähigkeiten mehr als gefragt. Multitasking und eine speditive und effiziente Ressourcen- und Zeitplanung gehören zu den Must-haves von Müttern dazu. Eigenschaften, die ebenfalls sehr nützlich in einem Betrieb sind.

Wer also auf der Suche nach gut ausgebildeten Müttern und Vätern mit langjähriger Erfahrung im Gastgewerbe oder in der Hotellerie ist, der/die sollte einmal auf dem nächsten Spielplatz sein Personalmarketing betreiben. Wer weiss, vielleicht kann ja die neue Restaurantleiterin im Teilzeitpensum dort gefunden werden.