So geht integratives Arbeiten im Gastgewerbe

Nicole Steffen – 22. März 2024
Rund 250 Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung arbeiten an geschützten und an integrativen Arbeitsplätzen in den Betrieben und Partnerfirmen vom Werkheim in Uster ZH. Gerade für das Gastgewerbe bringt integratives Arbeiten viele Vorteile mit sich.

Weg vom rauen und harschen Ton in der Küche, hin zu einer einfachen und respektvollen Sprache: Das ist für Flemming Schulthess (51), Küchenchef im Restaurant 8610, und sein Team ganz normal und würde anders nicht funktionieren. «Es ist enorm wichtig, dass wir in der Küche eine einfache Sprache pflegen. Zudem wird ein Auftrag nach dem anderen vergeben, und wir führen eine To-do-Liste, auf der abgestrichen werden kann, was erledigt wurde», erklärt Schulthess. In seinem Team arbeiten Menschen mit und ohne Beeinträchtigung Hand in Hand.

Ein Umgang, der in jedem Gastronomiebetrieb wünschenswert wäre, sagt Andi Handke (43), Co-Initiant und Headcoach von GastroFutura. «Immer noch gut die Hälfte aller Auszubildenden brechen die Lehre aufgrund der schlechten Umgangsformen in der Küche ab oder wechseln nach der Ausbildung den Beruf», erklärt Handke.

Er nimmt an der Berufsschule in Zürich Abschlussprüfungen junger Köche und Köchinnen ab und ist schockiert, wie viele junge Talente immer noch «verheizt» werden. «Das sind junge Talente, die uns in der Zukunft fehlen. Das macht mich gleichzeitig wütend und traurig», so Handke. Der ausgebildete Koch und Aktivist hat im letzten Jahr gemeinsam mit Patrick Honauer (58) das Praxisnetzwerk GastroFutura gegründet. Dieses hat das Ziel, die soziale, die ökologische und die ökonomische Nachhaltigkeitstransformation in der Gastro­branche voranzureiben.

GastroFutura vernetzt dabei seine Mitglieder untereinander und ermöglicht dadurch einen Austausch von Wissen und Best-Practice-Beispielen. Bei Bedarf führt GastroFutura ebenfalls Coachings durch und aktiviert so das grosse Potenzial der Gastronomie für die Erreichung der Klimaziele. Das Projekt wird vom Migros-Pionierfonds unterstützt.

Die Zusammenarbeit mit GastroFutura

An der Berufsschule hat Andi Handke von Gastro­Futura Flemming Schulthess (51), Küchenchef im Restaurant 8610 vom Werkheim in Uster ZH, kennengelernt. Die beiden nehmen dort gemeinsam Prüfungen ab. So nahm auch die Zusammenarbeit von GastroFutura und dem Werkheim Uster seinen Lauf.

Das Werkheim Uster hat im Herbst letzten Jahres die Positionierung des Restaurants 8610 überdacht und überlegt, wie es sein integratives Schaffen noch besser positionieren kann. Da kam der Vortrag von Andi Handke zu GastroFutura und ihrer Vision in Zürich gerade richtig. Schulthess war begeistert und nahm Kontakt auf. Mit seinem integrativen Wirken leistet das Werkheim bereits einen sehr wichtigen und umfangreichen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit. Dieser soll nun mithilfe von GastroFutura entsprechend kommunizieren und publik gemacht werden.

Bei der ökologischen Nachhaltigkeit werden in der Zusammenarbeit mit GastroFutura neue Ansätze und Ideen entwickelt. Damit soll das Restaurantkonzept inklusive aller Speisen und Getränke noch ökologischer gestaltet werden. Es wurden gemeinsam Ziele definiert, welche die weitere Zusammenarbeit und die Entwicklung des Restaurants 8610 messbar machen sollen. Das übergeordnete Ziel des Restaurants 8610 ist es, ein nachhaltiger Ort mit einem fairen Preis-Leistungs-Verhältnis bei kulinarischen Höchstleistungen zu werden. Doch dazu später mehr.

Das Restaurant 8610

Das Restaurant 8610 hat von Montag bis Samstag geöffnet. Von Dienstag bis Freitag wird ein Mittagessen ebenso wie ein Abendessen serviert. Am Samstag hat das Restaurant nur abends geöffnet, und am Montag hat das Restaurant von acht Uhr morgens bis fünf Uhr abends geöffnet. Am Abend wird zudem ein Überraschungsmenü serviert, das jede Woche wechselt.

Gonçalo Ramos (30), Mitarbeiter im Restaurant 8610, erklärt dieses besonders gerne. Mit den Worten «Stellen Sie sich vor, Sie sind bei Freunden eingeladen und wissen nicht, was gekocht wird», präsentiert er das Überraschungsmenü seinen Gästen. Rund die Hälfte aller Gäste bestellten das Überraschungsmenü, so Ramos. Und das, obwohl die Menschen eigentlich gerne wissen, was sie auf dem Teller serviert bekommen.

Auch der Service von Drei- bis Viergängemenüs sei eine gute Herausforderung. «Ich lese das Menü ein paar Mal durch, und dann kann ich mir die einzelnen Komponenten der Gänge merken», erklärt Ramos.

Restaurant 8610 aussen

Das Restaurant 8610 in Uster ZH. (Bild: zVg)

Restaurantleiter oder im Service

Die Ehrlichkeit und die Authentizität in der Kommunikation seien genau das, was die tägliche Zusammenarbeit so besonders mache, betont Daniel Wernli (38), Restaurantleiter im Restaurant 8610. Jede und jeder arbeitet dort, wo er oder sie gerade gebraucht werden könne. So könne es sein, dass er als Restaurantleiter am Abend im Service arbeite und am nächsten Tag die Einsatzpläne schreibe. Wenn es nach Gonçalo Ramos gehen würde, dann könnte er den ganzen Tag die Gäste bedienen und nebenbei das Besteck und die Gläser polieren, seine beiden Lieblingsbeschäftigungen im Restaurant.

Der Mensch steht im Zentrum

Im Restaurant 8610 steht der Mensch im Zentrum. Es findet eine Konzentration aufs Wesentliche statt. Wer nun jedoch einen durchschnittlichen Service mit einem bescheidenen Menü erwartet, hat sich getäuscht. Die Servicequalität ist hoch.

Das Restaurant serviert saisonale und lokale Gerichte, mit frischen Zutaten aus dem eigenen Garten. In der Zusammenarbeit mit GastroFutura wird die ökologische Nachhaltigkeit weiter ausgearbeitet und die Speisekarte stetig weiterentwickelt. Das Ziel dabei ist es, noch mehr Produkte aus dem hauseigenen Garten zu verwerten.

Aktuell gibt es ein Kiwanosorbet auf der Karte. Die Horngurke oder auch Hornmelone genannt, gehört zur Gattung der Kürbisgewächse und gleicht einem Kaktus. Genau diese Horngurke wächst ebenfalls im hauseigenen Werkheim-Garten. Neben der Kiwanofrucht werden viele weitere Zutaten für die Küche wie Stachys, Topinambur und über zwölf verschiedene Sorten Tomaten im eigenen Garten angebaut. Der Garten wird ebenfalls von Mitarbeitenden mit einer kognitiven Beeinträchtigung bewirtschaftet und bietet so weitere geschützte Arbeitsplätze im Werkheim Uster.